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GoB – Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

Normen

§ 162 AO

Information

Für die Schätzungsbefugnis auf Grund einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung gelten die folgenden wesentlichen Grundsätze:

  1. Die Finanzbehörde hat die Pflicht, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn

    1. die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können (§ 162 Abs. 1 S. 1 AO), diese also z.B. gar nicht vorliegen,

    2. wenn Bücher oder Aufzeichnungen nicht vorliegen (§ 162 Abs. 2 S. 2, 1. HS AO) oder

    3. wenn die Bücher oder Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zu Grunde gelegt werden können (§ 162 Abs. 2 S. 2, 2. HS AO).

  2. Bei der Schätzung sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 S. 2 AO)

  3. Verletzt ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten, gelten besondere Regelungen (§ 162 Abs. 3 und 4 AO).

Für den Umfang der Schätzung ist das Ausmaß der Verstöße gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) von Bedeutung. Das Buchführungsergebnis ist im Umfang der Beanstandungen nicht zu übernehmen („soweit die Beanstandung reicht“). Eine Vollschätzung an Stelle einer Zuschätzung kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Buchführung in wesentlichen Teilen als unbrauchbar erweist.

Beispiel 1 (Bedeutung des Umfangs der Bareinnahmen):

Im Rahmen einer Betriebsprüfung (Bp) wird der Möbelhändler M geprüft. Die Bp stellt fest, dass die Kassenbuchführung Mängel aufweist. Eine Kalkulation führt im mittleren Prüfungsjahr zu einer Differenz von 300.000 EUR. M behauptet, dass der Kalkulation lediglich ein falscher Wareneinsatz zu Grunde liegt, weil der Warenendbestand auf Grund einer falschen Inventur um etwa 180.000 EUR zu niedrig ausgewiesen wurde. Bei einem Aufschlagsatz von etwa 66 % wäre damit die Kalkulationsdifferenz entkräftet.

Variante 1:

Etwa 20 % seiner Betriebseinnahmen erzielt M bar, die übrigen 80 % werden über die Bankkonten vereinnahmt.
Die Kassenbuchführung weist zwar Mängel auf. Die Bareinnahmen haben jedoch für die gesamte Buchführung eine eher untergeordnete Bedeutung. Eine Schätzung mit dem Ansatz einer Kalkulationsdifferenz betrifft den gesamten Betrieb. Die Schätzung darf jedoch nur durchgeführt werden, soweit die Beanstandungen reichen.
Ein möglicher Weg wäre hier, im Rahmen der Schätzung 80 % des als fehlend behaupteten Warenendbestandes (144.000 EUR) ohne weitere Überprüfung als Endbestandserhöhung (mit entsprechender Wechselwirkung im Folgejahr) anzusetzen und 20 % (36.000 EUR) in die Kalkulation mit einzubeziehen (Kalkulationsdifferenz = 60.000). Ein Sicherheitszuschlag wegen des Verstoßes gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Inventur wäre denkbar (beachte jedoch Willkürverbot, u.a. BFH, 01.12.1998 – III B 78/97, BFH/NV 1999, 741-743).

Variante 2:

Etwa 80 % seiner Betriebseinnahmen erzielt M bar, die übrigen 20 % werden über die Bankkonten vereinnahmt.
Wird ein wesentlicher Anteil der Betriebseinnahmen bar vereinnahmt und weist die Kassenbuchführung erhebliche Mängel auf, so ist eine Vollschätzung zulässig. In diesem Fall müsste M Nachweise erbringen, die eindeutig belegen, dass es sich lediglich um falsche Inventurwerte handelt. Kann er dies nicht belegen, können die schlüssig ermittelten Kalkulationsdifferenzen als Gewinnerhöhung angesetzt werden.

Beispiel 2 (Bedeutung der Kassensysteme):

Im Rahmen einer Betriebsprüfung (Bp) wird die Gaststätte G geprüft. Die Bp stellt fest, dass 2 Kassen im Betrieb vorliegen. Die Kassenbuchführung der offenen Ladenkasse weist Mängel auf (Kassenfehlbeträge in Höhe von 20.000 EUR). Die Kassenbuchführung der elektronischen Registrierkasse ist ordnungsgemäß. Hierüber werden ca. 80 % der Betriebseinnahmen vereinnahmt. Die Bp führt eine Kalkulation durch mit dem Ergebnis einer Differenz von 50.000 EUR zum erklärten Gewinn.
Wie im Beispiel 1 weist die Kassenbuchführung der offenen Ladenkasse zwar Mängel auf. Diese sind jedoch für die gesamte Buchführung von eher untergeordneter Bedeutung. Somit wäre eine Vollschätzung (Ansatz mit Kalkulationsdifferenzen) im allgemeinen nicht zu rechtfertigen (Ausnahme vgl. Beispiel 4).
Gleichwohl können aber zumindest die Kassenfehlbeträge zu einer Gewinnerhöhung führen (soweit die Beanstandungen reichen).

Beispiel 3 (Bedeutung der Geldverkehrsrechnung):

Wie Beispiel 2, die Bp hat jedoch zusätzlich eine inhaltlich nicht zu beanstandende Geldverkehrsrechnung durchgeführt, die eine Differenz von 100.000 EUR ausweist. Diese Differenz aus der Geldverkehrsrechnung ist ein geeignetes Mittel, den Gegenbeweis der Richtigkeitsvermutung des § 158 AO zu führen. Damit wird bewiesen, dass auch das formell ordnungsgemäße Ergebnis der elektronischen Registrierkasse nicht zu einer sachlich richtigen Buchführung führt. Die Differenz aus der Geldverkehrsrechnung führt zu einer Gewinnzuschätzung nach § 162 Abs. 2 S. 2, 2. HS AO.

Beispiel 4 (Bedeutung der genauen Kalkulation):

Im Rahmen einer Betriebsprüfung (Bp) wird der Einzelhändler H geprüft. Die Einnahmeaufzeichnungen sind nicht zu beanstanden, allerdings hat H keine ordnungsgemäßen Inventuren erstellt. Die Bp führt eine sehr detaillierte Nachkalkulation durch, in der sie die verschiedenen Warengruppen, Eigenverbrauchstatbestände, Preisnachlässe, etc. in angemessener Form berücksichtigt. Die Höhe der Inventurbestände wird dabei nicht berücksichtigt, weil die Bp unterstellt, dass die Endbestände sich bei der Höhe nach gleichbleibenden Einkaufsverhalten und Lagerkapazitäten nicht wesentlich verändern.
Bei einem Jahresumsatz von 1.000.000 EUR und einem Gewinn von 50.000 EUR kommt die Bp zu einer Kalkulationsdifferenz von

a) 4.000 EUR und

b) 40.000 EUR

Eine Kalkulationsdifferenz von 0,4 % vom Umsatz (Alternative a) liegt im Bereich der Schätzungsunschärfe.

Eine genaue Grenze, wann eine Schätzungsunschärfe vorliegt, wird in der aktuellen Rechtsprechung nicht festgelegt. Diese Frage kann nur im Einzelfall entscheiden werden. Soll die sachliche Unrichtigkeit formell ordnungsmäßig aufgezeichneter Betriebseinnahmen durch eine Nachkalkulation nachgewiesen werden, muss bei geringfügiger Abweichung der Nachkalkulation vom Buchführungsergebnis jedoch grundsätzlich in Erwägung gezogen werden, dass die Abweichung auf Schätzungsunschärfen beruhen kann. Liegt die Abweichung im Unschärfebereich, ist keine Schätzung zulässig (BFH, 26.04.1983 – VIII R 38/82, BStBl II 1983, 618).
Sind die Kalkulationsdifferenzen von bedeutsamer Größe (Alternative b), kann auch eine inhaltlich nicht zu beanstandende Nachkalkulation die sachliche Richtigkeit einer formell ordnungsgemäßen Buchführung entkräften. An den Nachweis als Gegenbeweis der Richtigkeitsvermutung des § 158 AO durch eine Nachkalkulation sind strenge Anforderungen zu stellen, BFH, 22.08.1985 – IV R 29-30/84, BFH/NV 1986, 719-720.

Beispiel 5 (Berücksichtigung aller Umstände):

Im Rahmen einer Betriebsprüfung (Bp) wird die Döner-Imbiss-Stube D geprüft. Die Buchführung ist nicht ordnungsgemäß. Dabei wurden im Rahmen einer Kalkulation folgende Werte ermittelt:

Vereinfachte Darstellung:

Wareneinsatz

500.000 EUR

500.000 EUR

500.000 EUR

Aufschlagsatz

Ermittelt

Mittelwert RSS*

Höchstwert RSS*

300 %

170 %

270 %

Kalkulierter Umsatz

2.000.000 EUR

1.350.000 EUR

1.850.000 EUR

Erklärter Gewinn

1.500.000 EUR

1.500.000 EUR

1.500.000 EUR

Differenz

500.000 EUR

– 150.000 EUR

350.000 EUR

* RSS = Richtsatzsammlung

Ist im Rahmen der Bp die Ermittlung der Aufschlagsätze im Betrieb erfolgt, ist dieser betriebsbezogenen Ermittlung ein größeres Gewicht beizumessen, weil die Ermittlung im Einzelfall genauer ist als ein Wert vergleichbarer Betriebe, selbst wenn dieser Wert außerhalb der Norm liegt. Allerdings sollte der ermittelte Aufschlagsatz insgesamt schlüssig sein, alle betriebsspezifischen Umstände berücksichtigen und die Abweichung von der Norm sollte sich begründen lassen (z.B. durch hohes Preisniveau, kleinere Portionen, geringere Einkaufspreise, minderwertigere Ware, etc.).

Beispiel 6:

Im Rahmen einer Betriebsprüfung (Bp) wird der Apotheker A geprüft. Die Buchführung ist formell ordnungsgemäß. Insbesondere bei den Einnahmeaufzeichnungen ergeben sich keine Beanstandungen. Die Aufschläge liegen im oberen Normbereich. Hinweise auf Schwarzeinkäufe oder Einnahmeverkürzungen liegen nicht vor. Allerdings führt eine nicht zu beanstandende Vermögenszuwachsrechnung zu einer Differenz von 100.000 EUR im Jahr. Die Differenz kann nicht schlüssig geklärt werden.
Auch diese Differenz aus der Vermögenszuwachsrechnung ist ein geeignetes Mittel, den Gegenbeweis der Richtigkeitsvermutung des § 158 AO zu führen. Die Differenz kann zu einer Gewinnzuschätzung nach § 162 Abs. 2 S. 2, 2. HS AO führen.
Soweit eine Verkürzung der Betriebseinnahmen ausgeschlossen werden kann, kann sich die Differenz nur aus anderen Einkunftsquellen oder aus fingierten Betriebsausgaben ergeben (z.B. Aushilfslöhne, die nicht gezahlt wurden). Diese Tatbestände ließen sich durch eine Kalkulation nicht nachweisen.

Praxistipp:

In der Praxis führen Schätzungen der Bp bei den Beteiligten fast immer zu unterschiedlichen Ansichten über den Sachverhalt oder die Ermittlungsmethode. Beide Seiten (Finanzverwaltung und Unternehmer / Steuerberater) sollten sich – zumindest soweit es sich um Sachverhaltsermittlungen handelt – außergerichtlich einigen. Hierzu ist die Möglichkeit der tatsächlichen Verständigung ein geeignetes Verfahren. Der Zeitaufwand, der sich ergibt, wenn Sachverhaltsfragen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu klären sind, verursacht hohe Kosten für die Verwaltung, für die Unternehmer und für die Gerichte.

Im Rahmen einer Beratung oder Erörterung zur Frage, wie weit man ein Verfahren auch außergerichtlich erledigen kann, ist es sinnvoll, eine überschlägige Kostenkalkulation vorzunehmen und abzuwägen, ob die finanzielle Einbuße durch eine außergerichtliche Einigung höher ist als die Kosten, die durch eine fehlende Einigung verursacht werden.

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